Eigentlich habe ich gedacht, dass mich in den mehr als 30 Jahren, in denen ich mich für Politik interessiere, nichts mehr überraschen kann. Doch seit ich mich im Rat der Stadt Bergisch Gladbach engagiere, werde ich regelmäßig eines anderen belehrt. Manche Kollegen im Stadtrat sagen mir, dass man einzelne Schicksale und Emotionen nicht so nah an sich ran kommen lassen darf, sonst würde man seinen Sinn für Objektivität und sachorientiere Entscheidungen verlieren. Da ist sicher etwas dran, aber ich erwidere darauf, wenn ich in der Politik aufhöre meine Menschlichkeit zu verlieren, verliere ich den Sinn für diejenigen, für die ich eigentlich Politik mache will.
Am Dienstag musste ich wie so oft in den letzten Monaten eine Entscheidung miterleben, die mich nicht nur persönlich betroffen macht, sondern bei der ich sogar richtig wütend werde. In der letzten Sitzung des Kulturausschusses Bergisch Gladbach (27.9.2011) wurde über die Erhöhung der Entgelte der städtischen Galerie Zanders beraten, um die Einnahmesituation der städtischen Kulturbetriebe im Nothaushalt zu verbessern. Neu 4 ,- € Normalpreis, 2,- € ermäßigt / früher 2,- € Normalpreis, 1,- € ermäßigt. Auch wurde über die Gruppe derjenigen entschieden, die ermäßigten oder freien Eintritt bekommen sollen. Die Gruppe der ermäßigten Entgelte umfasste zunächst Schüler, Studenten, HartIVler (SGBII) und Menschen in der Grundsicherung (SGBXII). Freien Eintritt will man Kindern unter 6 Jahren gewähren. Sieht auf den ersten Blick gut aus, und auch der freie Entritt für Ausweisinhaber des ICOM, des Deutscher Museumsbund oder Mitglieder des Galerie+Schloss e.V. machen Sinn, auch wenn von diesen die wenigsten beim Einkauf im Supermarkt auf jeden Cent achten müssen.
In der Diskussion beantragte DIE LINKE. und die BfBB, dass auch Menschen mit Behinderungen und Leistungsempfänger nach Asylbewerberleistungsgesetz (kurz Asyslbewerber) einen ermäßigten Eintritt
angeboten werden soll. Die CDU beantragte zusätzlich, dass Inhaber eines Jugendleiterausweises (ehrenamtliche Mitarbeiter/innen in der Jugendarbeit) die Möglichkeit eines ermäßigten Eintritts
bekommen sollen. Die Ermäßigung für Jugendleiter nahm der Ausschuss einstimmig und einvernehmlich an, während die Anträge für Ermäßigungen für Menschen mit Behinderungen und Asylbewerber mit den
Stimmen von CDU und FDP vom Ausschuss kalt abgelehnt wurden.
In der Diskussion verwies man darauf, dass Menschen mit Behinderungen und Asylbewerber doch Donnerstags die Galerie besuchen könnten, denn dann sei der Eintritt für alle frei. Bis heute kann ich
nicht nachvollziehen, warum ein Student, eine Schülerin oder ein Jugendleiter an jedem anderen Wochentag eine Ermäßigung bekommen kann, denn auch sie könnten doch Donnerstags den freien Eintritt
wahrnehmen? Wo der genaue Unterschied zwischen den Gruppen ist, erschließt sich mir nicht.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich in den Köpfen der Abstimmende rassistische Vorurteile gegen Asylbewerber oder Menschen mit Behinderungen durchgesetzt haben, trotzdem macht mich diese
Entscheidung so betroffen und nachdenklich, dass sie mich seit Dienstag so beschäftigt, dass sich diesen Text schreibe.
Im Rheinisch-Bergischen-Kreis (ca. 276.000 Einwohner) sind aktuell ca. 290 Asylbewerber gemeldet, die nach AsylbLG staatliche Transferleistungen beziehen (hier Asylbewerber genannt). 14.000
jährliche Besucher der Villa (darunter sehr viele Stammgäste) bedeutet immerhin ca. 5% der Bevölkerung des Rheinisch Bergischen Kreises, welche das Angebot der Galerie nutzen. Wenn
nun auch 5% der 290 Asylbewerber im Landkreis die Villa besuchen sollten, muss die Galerie mit einem Ansturm von 14,50 Asylbewerben im Jahr rechnen. Eine Ermäßigung für diese 14,5 neue Kunden,
die dann 2,- € weniger zahlen müssten, würde für die Galerie ein theoretischer entgangenen Gewinn von satten 29 € jährlich bedeuten ohne dabei zusätzliche Kosten zu erzeugen, denn das Museum ist
ja eh geöffnet und eng ist es dort nicht. Tatsächlich ist selbst diese Zahl reine Utopie und viel zu hoch gegriffen, denn schon heute müssen Asylbewerber im Supermarkt jeden Cent zweimal umdrehen
und selbst ein ermäßigtes Entgelt von 2,- € können sich viele nicht leisten, denn die Busfahrt hin und zurück kostet schon mindestens 4,20 €. Asylbewerber müssen in der Regel mit
359,00 € monatlich ihren Lebensunterhalt bestreiten und erhalten damit weniger als ein HartzIV Empfänger.
Niemand kann heute sagen, wie viel Asylbewerber die letzten Jahren die Villa besucht haben, aber die Mehrheit im Kulturausschuss scheint zu meinen, dass es zu viele waren. Da Asylbewerber ja eh
am Rande der Gesellschaft leben, können sie dieses doch auch zukünftig tun und an den "eintrittsfreien Donnerstagen die Galerie besuchen", so wie es „Menschen mit Behinderungen auch tun können“,
wenn sie das wirklich wollen.
Man will sie auch nicht als neue Kunden gewinnen, die über einen gemäßigten Eintritt immerhin 29 € im Jahr in die Kasse einbringen könnten. Bei dem Normalpreis wäre die Zahl der Besuche von
Asylbewerbern deutlich kleiner und wenn dann immerhin noch sieben Asylbewerber zum Normalpreis die Villa besuchen würden, würde man nur 28 € statt 29 € einnehmen. Jetzt kommen sie nur
Donnerstags, haben den Eintritt frei und die zusätzlichen Einnahmen aus Eintrittsgeldern für die Stadt im Nothaushalt liegen bei 0,- €.
Nach solchen Abstimmungen überkommt mich ein Gefühl zwischen Verzweiflung und ohnmächtiger Wut. Ich frage mich, warum CDU und FDP Asylbewerbern und Menschen mit Behinderungen eine Ermäßigung
verweigern? Wurde der Antrag nur abgelehnt, weil es ein Antrag von der LINKEN war, denn dieses ist die erklärte politische Linie der Mehrheitsfraktionen. „Alles von links ohne Ansehen und Prüfung
ablehnen!“ Geht es der CDU und der FDP nicht um die vielbeschworene Sachpolitik, sondern doch nur noch um einen ideologisch dogmatischen Grabenkrieg und Klientelpolitik auf Kosten der Menschen in
unserer Stadt, oder steckt dann doch Misstrauen und Angst vor fremden Asylbewerbern und Anderssein mit einer Behinderung dahinter?
Wir sollten uns freuen wenn Menschen aus anderen Kulturen unsere Museen besuchen, denn damit wollen sie am Leben und der Kultur in dieser Region teilnehmen, ihre Gastgeber verstehen lernen und
sich integrieren. Asylbewerber haben ihre Heimat aus Angst oder unter Zwang verlassen. Sie sind Flüchtlinge und in Deutschland am unteren Ende der sozialen Pyramide. Sie sind die
Schwächsten in unserem Sozialsystem.
Ich schäme mich für diese Entscheidung des Ausschusses und ich empfinde Scham für die Ausschussmitglieder, die dieses zu verantworten haben. Es ist eine Schande für diese Stadt,
die in der Mehrheit christlich ist und an einen barmherzigen Gott glaubt.
Am Donnerstag, den 13. Oktober 2011 wird im Hauptausschuss erneut über den Antrag der Fraktion DIE LINKE./BfBB zu Ermäßigungen bei den Entgelten abgestimmt. Bis dahin werde ich persönlich der
Stadt jährlich 29,- € zweckgebunden für die Villa „spenden“, denn der jetzige aktuelle und gesamte Zuschussbedarf im städtischen Nothaushalt von 497.598 € nur für die Villa Zanders (Produkt: 004
450 010) scheint nicht für einen ermäßigten Eintritt für 14,5 Asylbewerbern zu reichen.
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