Die eigene Furcht ...

Heute morgen wurde ich in der Straßenbahn nach Köln von einem mir unbekannten jungen Mann angesprochen , leise aber direkt ins Gesicht, mit den Worten: „Wir kriegen Euch alle!“. Dann verschwand der Mann in einer Lonsdale Jacke durch die Tür und verließ die KVB-Linie 1 so schnell, dass ich keine Gelegenheit hatte zu reagieren. So überrascht war ich. Vermutlich hat er sich von Kippekausen an bis zum Neumarkt überlegt, was er mir sagen könnte, denn er saß schon in der Bahn als ich mich ihm unbekümmert quer gegenübergesetzt hatte. Aktuell häufen sich Nachrichten über das Internet, in denen ich mit rechten Aussagen konfrontiert werde, obwohl die Sender meine humanistische und antifaschistische Haltung kennen und auch wissen, dass ich DIE LINKE im Rat der Stadt Bergisch Gladbach vertrete. Möglicherweise senden sie mir aber genau deshalb rassistische Propaganda, weil sie wissen, dass ich nicht nur links stehe, sondern selbst Migrationshintergrund habe. Erst letzte Woche rief man mir  in der Fußgängerzone Bergisch Gladbach hinterher „Santillan, Du linkes Sch … .“. Ich habe mich schnell entfernt, da ich in der Menge der Menschen den Rufer nicht erkennen konnte und ich mich eh nicht darauf einlassen wollte. Ähnliche Situationen, in denen man nicht nur beschimpft wird, sondern von "normalen" Bürgern sogar körperlich angegangen wird, häufen sich. Die Polizei rät in Bedrohungssituation, dass man dem Angreifer klare Ansagen gibt und sich auch bei anderen Anwesenden laut bemerkbar macht, um deutlich anzuzeigen wo die Grenzen liegen.

Das kann auch sehr peinlich werden und ich musste Kritik einstecken, dass das doch alles nicht so schlimm sei, das meine Reaktion übertrieben sei und ich mich nicht so aufregen sollte. Die meisten Zuschauer bekommen die tatsächliche körperliche Drohung nicht mit und hören danach nur eine harte aber auch sehr bestimmte Reaktion. Das kann nicht nur zu Missverständnissen kommen, sondern auch zu einer Entsolidarsierung mit dem Angegriffen und noch schlimmer dazu führen, dass sich manche mit dem gemein machen, der die handfeste Drohung ausgesprochen hat. Unverständlich und unverzeihlich. Damit muss man leben, solange ein direkter Angriff auf die körperliche Unversehrtheit abgewehrt werden kann. Schließlich geht es dabei um mich und nicht um die Zuschauer oder schon gar nicht um andere, die es später vom Hörensagen erzählt bekommen und gerne Gerüchte verbreiten.

Langsam befürchte ich, dass diese Attacken auf Menschen, die sich klar gegen rechte und rassistische Propaganda stellen oder sich in Flüchtlingsarbeit engagieren, noch mehr zunehmen werden. Überall in Deutschland gibt es immer mehr gewaltsame Angriffe gegen Unterkümfte, gegen Flüchtlinge und ihre ehrenamtlichen Helfer und die Verunsicherung und Angst nimmt deutlich zu.

Es scheint mir nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis ich mich nicht mehr abgrenzen oder entziehen kann und „sie mich wirkliche kriegen“, so wie man mir in der Bahn prophezeit hat. Das macht mich unsicher und ich zweifle ein wenig, ob ich möglicherweise zu hart reagiere und stattdessen besser weglaufen, mich verstecken soll oder den Kopf in den Sand stecken möchte. Ich habe mir sogar überlegt mein Namensschild an der Haustür zu entfernen. Anderseits sagt mir mein Verstand, dass ein Wegducken und Ignorieren, wie es zu Zeit viele tun, genau das Ziel der rechten Kampagne ist. Ich will mein positives Denken, meine Menschenfreundlichkeit und meine demokratische Überzeugung nicht aufgeben. Selbst wenn ich das verstecken könnte, bleibt meine kulturelle Identität offenkundig.

Mit der zunehmenden Duldung rassistischen Gedankenguts indem man schweigt oder nett dazu lächelt ist eine Sache. … aus Unsicherheit, Angst, aus Dummheit oder einfach weil man harmoniesüchtig kein Lust auf Streit hat oder glaubt, dass es schon wieder vorbei gehen wird. Die andere Sache ist die schleichende Entsolidarisierung von den Menschen, die den Angriffen konkret ausgesetzt sind oder sich rassistische Übergriffe nicht gefallen lassen und sich gegen rechte Gewalt an sich oder andere zur Wehr setzen.

Die Strategie des Wegduckens, der gelassen „Ignoranz“ und „Akzeptanz“ ist gescheitert und es zeigt sich unübersehbar, dass die Spaltung der Gesellschaft nicht durch die zivilisierten „Gutmenschen“ erzeugt wird. Es wird leider nicht einfach vorbeigehen indem man zuschaut und zur Tagesordnung übergeht und gute Miene zum bösen Spiel macht. Die Rechten und Rassisten eskalieren ihre Provokationen immer weiter und gewinnen damit täglich neue Unterstützung. Und das nicht, weil man sie zu heftig bekämpft, sondern weil es ihnen gelungen ist „hoffähig“ zu werden und ihre Inhalte Anerkennung bei vielen Menschen finden.

Statt dieses schweigend zu dulden und die Drohungen und die nackte Gewalt hinzunehmen, müssen wir uns offensiv, natürlich friedlich, damit auseinandersetzt, die eigenen Positionen formulieren und den Mund aufmachen. Tatsächlich muss die Zivilgesellschaft Geschlossenheit zeigen und diejenigen, die nun wie Ratten aus den Löchern kriechen und ihre Chance wittern, in ihre Schranken weisen. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir uns spalten und auseinandertreiben lassen. Es ist schwer gegen die eigene Furcht anzugehen, aber wenn wir das heute nicht tun, werden wir die Angst und Verunsicherung nicht loswerden.

 

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