Kein „Klartext“, sondern reaktionärer Mainstream.

© sa1ph - Fotolia.com
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CDU-Bundestagsabgeordneter Wolfgang Bosbach fordert verfassungswidrige Maßnahmen gegen gläubige Muslime und stärkt damit antislamischer Stimmungen.

In einem Interview mit dem Magazin Focus kritisiert der Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages und CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach (Rheinisch-Bergischer Kreis) die Aussage von Bundekanzlerin Angela Merkel: „Der Islam gehört zu Deutschland". Die Aussage der Bundeskanzlerin hält Bosbach für „nicht richtig“ ohne vorher zu betonen, dass er ja nichts gegen Muslime hätte, aber …

Das Zitat, welches Merkle verwendete, stammt von dem, ehemaligen und ungeliebten Bundespräsident Christian Wulff. Er sagte bei einer Rede im Jahr 2010. "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Wulff zitierte in der Rede auch Johann Wolfgang von Goethe: "Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen." Schon damals breitete sich in konservativen Kreisen Kritik gegen Wulff und seine Rede aus. Bei dem Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Anfang 2015 stellte die Kanzlerin nun klar: "Das ist so, dieser Meinung bin ich auch."

Wolfgang Bosbach betont im Focus seine Loyalität zur CDU, dass er nicht gegen Frau Merkel sei und sich für sie in jede Schlacht werfen würde. Ist Wolfgang Bosbach nun doch ein Verräter an der Sache der CDU? Wohl nicht, denn offensichtlich spielt die Union ein Doppelspiel, um auf der einen Seite das christlich-konservative Klientel zu beruhigen und auf der anderen Seite die deutschen Muslime zu täuschen.   ... weiterlesen >>

Wolfgang Bosbach spielt dabei den populistischen Hardliner aus dem katholischen Bergischen Land, der sich mit knackigen „law & order“ Parolen im Gespräch hält und als rechtskonservativ positioniert. Er behauptet, die Politik habe die offene Debatte über den Islam bisher zu oft behindert und meint damit explizit auch die CDU. Der Bergisch Gladbacher verschweigt, dass die gesellschaftliche Debatte schon lange und breit geführt wird, nur nicht unter den Vorzeichen, wie es sich Herr Bosbach und seine Anhänger wünschen würden. Jetzt so zu tun als wäre er ein ungehörter Prophet im eigenen Land oder etwa ein Opfer von politischer Ignoranz ist mehr als lächerlich.

Auch die von einigen ausgesprochene Behauptung, dass es nur wenige gäbe, die so „Klartext“ reden, wie Bosbach ist an den Haaren herbeigezogen. Die angeblichen unausgesprochenen Redeverbote („Political Correctness“) gibt es nicht, denn tatsächlich haben schon ganz andere Menschen diese Sprüche geklopft, die Bosbach in jede Kamera spricht. Nur kamen diese in der Vergangenheit von weiter rechts außen. Auch ist es nichts Neues, was er fordert, wenn man sich an den Stammtischen umhört. Bosbach vertritt den rechtsreaktionären Mainstream, der nicht nur im Bierzelt beim Schützenfest weit verbreitet ist, sondern mit der AfD auch Einzug in zahlreiche Parlamente und Räte gehalten hat. Seine antiislamische Kampagne kommt in seinem konservativ geprägten Wahlkreis an.

So bringt er in seiner nächsten Aussage im Focus-Interview eine altbekannte  Maßnahme gegen gläubige und radikale Muslime wieder ins Spiel: „Wir sollten ernsthaft prüfen, ob wir nicht ein Verbot der Vollverschleierung in öffentlichen Räumen beschließen sollten.“ Nach seiner verfassungswidrigen Forderung nach Ausbürgerung salafistischer deutscher Staatsbürger soll es nun das Verschleierungsverbot im öffentlichen Raum richten. Aber auch dieses ist wohl nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, wie Bosbach noch selbst vor wenigen Jahren feststellte. Das Tragen der Burka falle rechtlich unter "freie Entfaltung der Persönlichkeit". Damals hielt er ein Verbot auch für unnötig, da öffentliche Interessen höchstens dann berührt seien, wenn eine vollverschleierte Frau als Zeugin vor Gericht auftrete oder Auto fahre. Er selbst sehe sie aber als "Zeichen der Abgrenzung und des religiösen Fundamentalismus", so im April 2010. Das scheint sich nun geändert zu haben. Der Grund dafür bleibt zunächst offen.
Auch im aktuellen Interview im Focus nennt Bosbach die Gerichtssäle. Sicherlich kann man dies diskutieren wenn es um Gerichte, Schulen oder um die Ausübung von öffentlichen Ämter geht, doch ein generelles Verschleierungsverbot auf der Straße würde nicht nur Muslime treffen, sondern auch Motorradfahrer, Skisportler oder Karnevalisten. Im Bereich des Demonstrationsrechts gibt es schon seit dreißig Jahren das Verbot der Vermummung, damit die Polizei die Teilnehmer mit Überwachungskameras zur Identifizierung abfilmen kann.
Wahrscheinlich geht es Bosbach um das Verbot von Burkas und Niqabs, doch er spricht wohl sehr bewusst von „Vollverschleierung“.
Bei der allegemeinen Auseinandersetzung um den Schleier geht es im Wesentlichen um die Widersprüche zum westlichen Emanzipationskonzept, Selbstbestimmung und Fremdbestimmung, kulturelle Indentität und Abgrenzung, das Dominanzverhältnisse zwischen Frauen und Säkularismus versus Religiosität.
In mehreren europäischen Staaten wurde ein solches Verbot durchgesetzt und für Frankreich auch vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestätigt. Die EuGH Richter betonten, dass Frauen in Frankreich in der Öffentlichkeit religiöse Kleider tragen dürfen, solange das Gesicht sichtbar bleibt. Außerdem gründe das französische Gesetz nicht „explizit“ auf der religiösen Bedeutung der Vollverschleierung, sondern auf der Tatsache, dass diese das Gesicht vermumme.
Ein  generelles Verbot von Burkas und Niqabs wäre nach einem Gutachten des Bundestages in Deutschland verfassungswidrig. Das Tragen einer Burka sei nach dem Gutachten „ein starkes Bekenntnis zu den Kleidungsvorschriften des Islam“. In einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen in der Verfassung schützt und ihnen Raum gibt, hat der Einzelne kein Recht darauf, von anderen Glaubensbekundungen verschont zu bleiben. „Es existiert kein Anspruch im öffentlichen Raum, vor den religiösen Einflüssen der Umwelt abgeschirmt zu werden.“ Da das  Gleichbehandlungsgebot im Grundgesetz „keinen Erziehungsauftrag für seine Bürger, der ihn legitimiert, ein Verbot der Vollverschleierung auch gegen den Willen der betroffenen Frauen durchzusetzen“ beinhaltet kommt ein Burka-Verbot auch als Schutzmaßnahme für Frauen nicht in Betracht, meint das Gutachten. Ein generelles Burka-Verbot im öffentlichen Raum verstoße gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes und lasse sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass auch eine Verfassungsänderung die Burka nicht aus dem öffentlichen Raum fernhalten kann, da diese mit der Menschenwürdegarantie in Konflikt käme. Die Glaubens- und Religionsfreiheit oder sein grundsätzliches Äußern und Bekenntnis dazu, gehört zu deren unantastbarem Grundrechten der Verfassung.

© Tobias Arhelger - Fotolia.com
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Sicherlich ist die Aussage, dass der  Islam zu Deutschland gehöre, ein Beispiel für Symbolpolitik ala Kanzlerin Merkel, denn tatsächlich will und kann ihre Regierung dieses nicht mit Leben und Inhalt füllen. Bosbach stellt fest, dass die CDU sich zu wenig mit diesem Thema auseinandersetzt. Obwohl seit langem eine breite gesellschaftliche Debatte im Gange ist, hat die CDU als christliche Klientelpartei das Thema Integration seit Jahren versäumt oder einfach daran vorbeidiskutiert.

Diese Realitätsferne erkennt man an den Aussagen des Vorsitzenden der Jungen Union, Paul Ziemiak. Auch er grenzt sich im Focus von der Feststellung seiner Parteichefin ab und sagt: „Die Wurzeln unseres Landes sind von der christlich-jüdischen Tradition geprägt, nicht durch den Islam.“ Zugleich betont der 29-jahrige: „Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland und sind Teil unserer offenen Gesellschaft.“
Sicherlich können wir in Deutschland von einer christlichen und jüdischen Geschichte reden, doch der Begriff „Tradition“ missachtet die lange Historie des Antijudaismus in Deutschland und Europa. Die Vorstellung einer angeblichen Symbiose von Juden und Nicht-Juden in einer gemeinsamen „christlich-jüdischen Tradition“, wie sie Paul Ziemiak meint, ist irreführend, denn sie ist konstruiert und hat es nie gegeben. Zudem grenzt der JU-Vorsitzenden mit dieser Formulierung den Islam gezielt aus.

Der Vorsitzende der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer, hält den Islam nicht für einen Teil Europas. „Der Islam ist leider noch immer eine Religion, die die europäische Aufklärung nicht durchlaufen hat“, sagte Kreuzer dem Focus. „Genau das ist aber die Zumutung, die dem Islam auferlegt werden muss, wenn er wirklich zu einem Teil Europas werden will.“
Offensichtlich braucht Herr Kreuzer ein wenig Nachhilfe in europäischer Politik und Geografie. Die Hauptstadt der Föderation Bosnien und Herzegowina liegt nur knapp 700 Kilometer weg von der der Bayrischen Landeshauptstadt und damit näher an München als Flensburg. In großen Teilen von Bosnien Herzegowina gibt es muslimische Mehrheiten. Solche Mehrheiten gibt es auch im Norden Zyperns (EU-Mitglied), einige Provinzen in Bulgarien (EU-Mitglied) und in Regionen Griechenlands (EU-Mitglied). Weitere Regionen Europas mit starken muslimischer Prägung und Mehrheiten finden wir im Kosovo sowie in einigen Teilrepubliken der Russischen Föderation und in Istanbul (Türkei). In Europa leben ca. 50 Millionen Muslime, die seit Jahrhunderten und nicht nur durch Einwanderung in Europa leben. Das sind etwa 7% der über 700 Millionen Einwohner des Kontinents.
Bei einer genaueren Betrachtung einiger christlichen Regionen in Europa sind wir noch weit von der Umsetzung der „europäische Aufklärung“ entfernt, von der Thomas Kreuzer im Focus skandiert. Und trotzdem zweifelt niemand daran, dass diese europäisch sind.

Es ist erschreckend, wie Teile der Christdemokraten gemeinsam mit der AfD, rechtsradikalen Parteien und Vertretern der Pegida die aktuelle antiislamische Stimmung in der Bevölkerung politische instrumentalisieren und nach Verschärfung der Gesetze rufen. Die Hardliner in der CDU handeln entweder ganz bewusst oder bemerken nicht, dass sie mit solchen Aussagen einer ausländerfeindlichen und rassistischen Kampagne in die Hände spielen. Statt aufzuklären und eine „offene und ehrliche Debatte“ zu führen, die sie ja vorgeblich einfordern, plappern sie nachweislich falsche und unsachliche Aussagen der Pegida nach und stellen verfassungswidrige aber populistische Forderungen auf. Politiker mit solchen rechten Positionen haben in so verantwortungsvollen Ämtern wie dem Vorsitz des Innenausschusses des Bundestags nichts zu suchen. Die CDU selbst sollte Bosbach endlich von dieser Position abberufen.


Wir müssen Islamophobie und soziale Ausgrenzung von Muslimen und generell von Migranten bekämpfen. Es muss uns um die Menschen gehen, denn sie sind es, die mit ihrem Glauben und ihrer Weltanschauung zu diesem Land gehören und nicht die abstrakten Religionen. Wir müssen die Vorurteile, die untereinander bestehen überwinden und uns um mehr Gemeinsamkeit als um Abgrenzung bemühen. Nur das würde auch dazu beitragen den radikalen islamistischen Strömungen das Wasser abzugraben. Die aber nutzen genau diese Gefühle von Ausgrenzung und Diskriminierung unter muslimischen Menschen für ihre Zwecke aus, um damit neue Anhänger zu rekrutieren. Bosbach und Co. tragen mit ihren Aussagen dazu bei, den Salafisten neue Anhänger in die Arme zu treiben.

Dem Terror der Djihadisten muss ebenso klar entgegentreten werden wie der Islamfeindlichkeit und dem Rassismus.

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Kommentare: 1
  • #1

    Petra (Sonntag, 06 September 2015 00:57)

    Sehr interessante Lektüre vielleicht für Sie, fiel mir so ein nach Lesen Ihres Artikels. Der Beitrag ist von der Publizistin Dr. Necla Kelek (2011): http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Bei-bestimmten-Migrantengruppen-ist-die-Integration-gescheitert/20110611

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